Description
Erstes Panel : Geschichte
Moderatorin : Miriam Rürup, Geschichtswissenschaft, Universität Potsdam
Alexandra Oeser, Soziologie, CMB und Université Paris Nanterre
Mario Kessler, Geschichtswissenschaft, Leibnitz Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Historische Verantwortung in der DDR und in der alten BRD: Versuch eines Vergleichs
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Niederwerfung Nazideutschlands durch die Antihitlerkoalition war der Antifaschismus der zentrale Bezugspunkt aller Strömungen der Arbeiterbewegung – und weit darüber hinaus auch aller bürgerlichen Demokraten. Doch begann der Umgang mit dem Erbe des Antifaschismus entlang der Frontlinien des aufkommenden Kalten Krieges zu zerfallen. Vereinfacht gesagt, entstand in Westdeutschland eine allmählich immer besser funktionierende Demokratie, doch zunächst ohne ausreichende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sprich: ohne ein antifaschistisches Bewusstsein. Der statt dessen aufkommende Begriff des Antitotalitarismus erlaubte mit seiner antikommunistischen Stoßrichtung manchem Funktionsträger des Naziregimes, allzu eilfertig die Gesinnung zu wechseln, war doch der einstige Bolschewistenhass in demokratischem Vokabular nunmehr wieder gefragt. In Ostdeutschland wurde hingegen der Antifaschismus in seiner parteikommunistischen Form zur Staatsdoktrin erklärt, und es gab somit kaum einen demokratischen Diskurs über die jüngste Vergangenheit, so sehr sich vor allem einige aus dem Exil zurückgekommene Emigranten darum bemühten. Die 1949 gegründete DDR sah sich nicht in der Verantwortung für das Geschehene. Der KPD-Widerstand fand aus ihrer offiziellen Perspektive in der Staatsgründung seine konstruktive Vollendung. Die DDR nahm für sich in Anspruch, den gesellschaftlichen Zustand, der die Nazidiktatur erst ermöglicht hatte, überwunden zu haben. Der nichtkommunistische und der antistalinistische Widerstand fanden, trotz Anstrengungen einzelner Historiker, zunächst nur wenig Beachtung. Auch die Restitution geraubten Eigentums jüdischer Verfolgter auf dem Gebiet der (späteren) DDR wurde, nach anfänglicher Offenheit in einigen Ländern der SBZ, mit der Begründung abgelehnt, die DDR stehe zum Nationalsozialismus – entgegen der Bundesrepublik – in keinerlei historischer Kontinuität. Von diesen Prämissen ausgehend, entwickelten beide deutsche Staaten einen entgegengesetzten Umgang mit der jüngsten Vergangenheit, wobei sich jedoch im Laufe der Jahrzehnte bedeutende Modifikationen ergaben, denen ebenfalls in diesem Vortrag nachgegangen wird.
Der Vortragende:
Mario Kessler, Prof. Dr. Bis 2021 am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam tätig. Lehrtätigkeit an der Universität Potsdam und an der Yeshiva University in New York sowie Gastprofessuren und Fellowships an vielen weiteren Universitäten, vor allem in den USA. Autor von 30 Büchern in deutscher und englischer Sprache. Jüngst erschienen: Für unsere und eure Freiheit (Berlin 2002); Sozialisten gegen Antisemitismus (2022); Flucht in Ketten, Sehnsucht hinter Mauern (2024). Hinzu kommt eine umfangreiche Herausgeber- und Übersetzertätigkeit. Seit 2003 Mitglied der Leibniz-Sozietät.
Zum weiterlesen:
Paul Robeson: The Left’s Tragic Hero. The musician, author and socialist should be remembered for both his heroic contributions and his attachment to Stalinism. In: Rosa Luxemburg Foundation, RLS News, Berlin, 4. April 2023:
Paul Robeson: The Left’s Tragic Hero - Rosa-Luxemburg-Stiftung
Not one man, not one penny! In: Weekly Worker (London), Issue 1142, 29. September 2022, S. 8-9:
https://weeklyworker.co.uk/worker/1412/not-one-man-not-one-penny/
Ein Lehrstück angewandter Aufklärung. Susan Neiman zur Erinnerungspolitik in Deutschland und den USA. In: Sozialismus, 48 (2021), Nr. 9, S. 36-40: